Raus aus der Schmuddelecke
Prüft alles und das Gute behaltet!
Auf einer Konferenz vor einigen Jahren sagte der Sprecher plötzlich in einem spontanen Eindruck zu meiner Sitznachbarin: „Der HERR lässt dir sagen: Du bist eine gute Mutter!“ Für die Allgemeinheit nicht hörbar äußerte sie kurz danach in einem leiseren Ton, dass sie gar keine Kinder habe. Das ließ mich aufhorchen und weckte die Frage, wie jetzt weiter damit umzugehen ist. Mindestens ein wörtliches Verständnis dieses Eindrucks hätte aus meiner Sicht guten Gewissens abgelehnt werden können. Nach meiner Einschätzung wäre das dieser Frau aber als Unglaube oder „Ungeistlichkeit“ angekreidet worden, begleitet von einigen schiefen Blicken. Warum ist das so?
Die Jahreslosung 2025 führt uns in genau in diesen Themenbereich. Da ich hier mit besonderer Sorgfalt und Fairness vorgehen möchte, ist die Andacht länger als üblich. Dafür bitte ich um euer Verständnis.
Paulus ruft uns auf, außerbiblische Impulse unter Christen nicht einfach uneingeschränkt aufzunehmen, sondern die Inhalte erst zu filtern. Es geht um den Filter der geistlichen Prüfung. Das Neue Testament spricht in 26 von 27 Büchern mindestens indirekt davon, geistlich Förderliches vom Schädlichen zu unterscheiden. Trotzdem hält sich die Nachfrage nach dieser Thematik in den Gemeinden sehr in Grenzen. Meistens verbringt sie ihr Dasein in irgendeiner wenig beachteten „Schmuddelecke“. Lohnt sich also der Aufwand, noch in diese Ecke zu gehen oder macht man sich da nur die Finger schmutzig? Reicht es nicht, wenn Gott die Dinge prüft?
Ich möchte gern dafür plädieren, dass es sich lohnt. Zwei Punkte aus dem Text sollen uns dabei helfen.
1. Geistliches Prüfen ist ein Gemeinschaftsprojekt
Die Aufforderung der Jahreslosung steht im Plural und betrifft uns als ganze Ortsgemeinde.
Das bedeutet nicht unbedingt, dass an diesem Prozess immer alle beteiligt sein müssen. Älteste und Gemeindeleitungsmitglieder haben hier eine besondere Verantwortung. Auch das Thema der geistlichen Reife ist in dem Zusammenhang zu beachten (Hebr. 5,14)
Es bedeutet auch nicht, dass die Mehrheit immer recht hat. Schon das Alte Testament warnt uns vor dieser Vorstellung. (2. Mo. 23,2) Es bedeutet aber, ein Bewusstsein dafür zu haben, mit vereinten Kräften um biblische Wahrheiten und das Wohl der Gemeinde bemüht zu sein.
Das Wirken des Geistes im Sinne von prophetischer Rede soll nach diesem Text nicht gedämpft oder gering geachtet werden. Es scheint hier nicht um ein autoritatives Reden von Gott her zu gehen, wie es bei den alttestamentlichen Propheten, Jesus und den Aposteln der Fall war. Eher geht es wohl um die Gabe im Gemeindekontext, in einer prophetischen Art in eine Situation hineinzusprechen. (Römer 12,6) Diese wäre gedämpft, wenn sie nicht zum Tragen kommt oder zu wenig Raum erhält. Wenn sie aber Raum bekommt, soll eine Prüfung stattfinden.
Der Apostel Johannes drückte das in seinem Brief so aus:
„Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind.“ (1. Joh. 4,1)
Hier haben wir also eine Möglichkeit, um gemeindliche Zusammenarbeit ganz praktisch werden zu lassen, nach dem Motto: „Hoch die Ärmel, jetzt wird geprüft!“ Klingt komisch? Vielleicht. Aber ich sehe hier mehrere positive Aspekte:
- Prüfen ist etwas, das Jesus selbst praktiziert und angeordnet hat. (Mk. 8,33; Mt. 24,4)
- Wir kommen miteinander ins Gespräch bei aufgeschlagener Bibel.
- Wir werden in der Überzeugung gestärkt, dass wir einen gemeinsamen Glauben haben und nicht nur jeder irgendwie für sich glaubt. (Jud. 3) Es fördert die Besinnung auf unser gemeinsames Fundament – Jesus Christus.
- Wer sich am gemeinsamen Prüfen beteiligt, erkennt damit an, dass er sich täuschen könnte und die Erkenntnisse der Geschwister braucht. Es fördert also unsere Demut.
- Eine wachsam prüfende Gemeinde hat eine abschreckende Wirkung für solche, die der Gemeinde schaden wollen. (Offb. 2,2)
Nehmen wir uns doch die Zeit dafür!
2. Geistliches Prüfen hat ein wunderbares Ziel
Beim Prüfen geht es nicht darum, Streit zu suchen und anderen Stress machen zu wollen, sondern um ein hohes Ziel: Das Gute! Der Text beschreibt es nicht so, als würden wir das Gute mal so nebenbei mitnehmen, sondern dass wir es „behalten“, also aktiv festhalten sollen. Der Prüf-Prozess soll uns also die Hände füllen mit geistlichen Schätzen, die wir nicht mehr loslassen möchten. Was ist dieses Gute?
Hier hilft uns der Römerbrief weiter. Dort beschreibt Paulus das tiefe Verlangen, das Gute tun zu wollen. Woran macht er das fest? In seinem Herzen ist etwas vorhanden, und zwar die „[…] Freude am Gesetz Gottes.“ (Röm. 7,22). Dieses Gesetz ist per Definition „[…] heilig, gerecht und gut.“ (Röm. 7,12).
Wenn Jesus also das große Finale des Gesetzes ist und seine Botschaft durch die Apostel entfaltet wird, haben wir damit das ultimativ Gute. Es gibt nichts Besseres! Der gekreuzigte Christus ist das Kernstück der guten Gedanken Gottes. Warum? Weil Menschen heil und gerettet werden, wenn sie das glauben. Diesen Prüfmaßstab gibt Gott uns an die Hand. Steht etwas im Widerspruch zur gesunden Lehre des Evangeliums und der Bibel als Gesamtheit, ist es keine gute Nahrung für uns. Aber alles, was diesen Filter erfolgreich durchlaufen hat, ist wirklich lebensspendende Nahrung für unseren Glauben.
Zum Schluss möchte ich noch kurz ein persönliches Erlebnis mit euch teilen. Eine mittlerweile verstorbene Schwester, die unsere Gemeinde besuchte, hatte ein sehr waches Auge, wenn es um das Thema Prüfen ging. So sprach sie mich nach einem Gottesdienst direkt an, warum wir ein bestimmtes Lied gesungen haben. Der Inhalt würde der geistlichen Entwicklung der Gemeinde schaden. Der Moment war unangenehm und hat mich innerlich sehr herausgefordert. Nicht, weil ich mich angegriffen fühlte oder persönlich gekränkt war, sondern weil ich im Vorfeld auch schon Bedenken bei diesem Lied hatte. Ich war aber über dieses Empfinden hinweg gegangen und habe es nicht weiter beachtet. Was für ein Segen, dass diese Schwester ihre Verantwortung des Prüfens wahrgenommen hat und mir an der Stelle geholfen hat. Ich brauchte ihre Ergänzung, um geistlich wieder klar zu sehen. Dafür bin ich ihr dankbar.
In diesem Sinne: „Prüft alles (auch diese Andacht) und das Gute behaltet!“
Euer
Karl Roß
